Das 19. und 20. Jahrhundert – eine menschengemachte Pflanzenrevolution
Zu Beginn der Industriellen Revolution war Deutschland praktisch waldfrei. Ein großer Teil der Bäume wurde im Laufe des Mittelalters gerodet, um für die entstehenden Dörfer und Städte Platz zu machen und um gleichzeitig die wachsende Bevölkerung mit Energie und Baumaterial zu versorgen. Eine Dissertation über die Holzwirtschaft im 16. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Augsburg macht deutlich, wie zielstrebig man hierfür vorging.
Man muss sich klarmachen, dass es im Mittelalter nichts anderes als Holz gab, um die Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen. Fast jeder Vorgang, bei dem man Wärme, also Energie brauchte, benötigte Holz. Das Wort „Holznot“ ist ein Begriff des Mittelalters. Ganze Wälder wurden gerodet, um beispielsweise Glas herzustellen. Um Glashütten herum verschwand teilweise der Wald in atemberaubender Geschwindigkeit. Spannend ist, dass nicht etwa das meiste Holz zum Aufheizen der Schmelze benötigt wurde (nur 10%), sondern um die für die Herstellung notwendige Pottasche zu erhalten, dafür gingen 90% des Holzes drauf. Es gibt Geschichten von Glashütten in Hessen, die man 60 Jahren lang schließen musste, damit in dieser Zeit wieder genügend Wald nachwachsen konnte. Nach weiteren 30 Jahren Betrieb war dann endgültig Schluss. Ein Teil der Glashütten wurde als Waldglashütten betrieben. Dabei mussten die Glasmanufakturen durchschnittlich alle 12 Jahre den Standort wechseln, um in ein Gebiet umzusiedeln, in dem es noch genügend Wald gab. In Frankreich verwendete man auch Farn, um die benötigte Pottasche herzustellen, was aber auch den Verlust von großen grünen Flächen zur Folge hatte.
Die Abholzungen und Rodungen kann man heute noch an den Ortsnamen ablesen. So ist die Endung -rode im Harz weitverbreitet (Gernrode, Harzgerode, Wernigerode, …), im Sauerland enden solche Namen auf -rath (Overrath , Rösrath, …) und in Bayern auf -ried (Görisried, Dietmannsried usw.).
Der Rest des Waldes wurde als Hutewald benutzt. Dabei trieb man das Vieh in den Wald, wo es sich an Blättern, Rinde, Laub und Waldfrüchten bedienen konnte. Dies hatte einen großen Einfluss auf die Dichte der Wälder, die dadurch erheblich lichter waren als heutzutage.
Das fast vollständige Abholzen des Waldes in großen Teilen Mitteleuropas dürfte also ursächlich die Abkühlung des Mittelalters ausgelöst haben, schließlich fehlten die dunklen Wälder zur Erwärmung des Kontinents. Die größte Ausdehnung hatten die Alpengletscher in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dies wird gleichgesetzt mit dem Ende der kleinen Eiszeit.
Sobald man genügend fossile Treibstoffe zur Verfügung hatte war man nicht mehr in großem Stil auf das Holz der Wälder angewiesen. Die Aufforstung konnte somit im 19. Jahrhundert regelrecht Fahrt aufnehmen. Fast alle Wälder in Deutschland sind in der jetzigen Form erst im 19. Jahrhundert entstanden. Natürlich fanden diese Entwicklungen auch in den Nachbarländern statt. Ein Beispiel sind die „Le Landes“ oder auch „Landes de Gascogne“ in Frankreich, das ist das größte zusammenhängende Waldstück in Westeuropa mit mehr als 1 Mio. Hektar. Dieser Wald ist rein von Menschenhand innerhalb von ca. 130 bis 150 Jahren entstanden.
Auch die ersten Baumschulen entstanden im 19. Jahrhundert. Der Bedarf an vielen Bäumen auch für Städte konnte damit besser befriedigt werden.
Und die fast schon industriell betriebenen Apfelbaumplantagen im „Alten Land“ bei Hamburg gibt es erst seit dieser Zeit. Auch der Kartoffelanbau kam erst im 19. Jahrhundert so richtig in Schwung.
Darüber hinaus haben die Zierpflanzen erst mit der Revolution in der Landwirtschaft ihren Einzug in die Gärten gehalten. Beispielsweise waren die in Norddeutschland heute weitverbreiteten immergrünen (!) Rhododendren noch im 18. Jahrhundert fast unbekannt. Auch Zierrasen ist ein Produkt des 19. Jahrhundert. Die ersten Zierrasensaatgutproduzenten gab es ab ca. 1890 in den USA.
Der Siegeszug der grünen Pflanzen nahm nochmals Fahrt auf, als Regierungen im Rahmen des Programms „Zurück zur Natur“ ganze Landesteile in Form von Nationalparks unter Naturschutz stellten. Das Vorhandensein einer üppigen Vegetation war hierbei DAS Zeichen für Natürlichkeit. Je grüner, desto besser!
Ein großer notgedrungener Eingriff in das System „Wald“ fand im 20. Jahrhundert vor, während, und kurz nach dem 2. Weltkrieg statt. Aufgrund von Kohle-, Öl- und Gasmangel, diese Energieformen beanspruchten die Staatsregierungen zur Ermöglichung der Kriegsaktionen für sich, war ein Großteil der Bevölkerung wieder auf die Benutzung von Holz angewiesen. Die Zuteilung von Bäumen bzw. Brennholz nahm im Laufe des Krieges immer weiter zu und schließlich musste Deutschland nach Ende des verlorenen Krieges ca. 10% des Holzes in den Wäldern als „Reparationshiebe“ an die Siegermächte abführen.
Der Einfluss dieser Abholzungen auf das damalige Klima lässt sich an der Temperaturkurve für das 20. Jahrhundert gut ablesen. Die bitterkalten Kriegs-und Nachkriegswinter sprechen eine deutliche Sprache. Erst weit nach 1970 war das Klima in etwa wieder so warm wie vor dem Krieg:
Wikimedia Commens: File:20200324 Global average temperature – NASA-GISS HadCrut NOAA Japan BerkeleyE.svg
Die daraufhin durchgeführten fast schon hektisch zu nennenden Aufforstungen fanden dann zum Großteil mit den schnellwachsenden Fichten statt, die heute unter dieser Fehlentscheidung selbst leiden müssen. Noch in den 70er-Jahren war es üblich, bei Spaziergängen in Wälder auf über Kilometer lang eingezäunte Schonungen zu treffen, wo die gepflanzten Bäume ohne die Gefahr von Tierverbissen aufwachsen konnten. Die zu große Dichte vieler heutiger Wälder hatte damals ihren Ursprung. Es entstanden regelrechte Baumplantagen.
Dass die Natur zwar geduldig ist, eine solche Fehlentscheidung nicht auf Dauer hinnehmen kann, lässt sich im Harz bewundern. Auch dort wurden ganze Flächen nach dem Krieg im Rahmen der Reparationshiebe abgeholzt und ab ca. 1950 wieder aufgeforstet, auch in tieferen Lagen mit den eigentlich nur in Hochlagen vorkommenden Fichten.
In einer Publikation von 2010 findet sich ein Foto , das eine Situation zeigt, die genauso aussieht wie Aufnahmen von heute. Der Borkenkäfer ist somit eine natürliche Antwort auf menschliches Fehlverhalten!
Man kann nur hoffen, dass dies die Verantwortlichen bei den für dieses Gebiet zuständigen Forstinstitutionen zum Nachdenken veranlasst. Fichten sind die Pionierbäume, die an ein kaltes polares und gebirgiges Klima angepasst sind, bei einer Ausbreitung aber für die Wärme sorgen, die es den anderen Baumarten erst ermöglicht, in diese Gebiete vorzustoßen, um dann nach und nach die Fichten zu ersetzen.
Spannend ist, dass die Forstwissenschaft den Begriff des Mischwaldes allgemein nicht verwendet. Dort ist von Wälder mit überwiegend Nadelbäumen oder überwiegend Laubbäumen die Rede. Mischwälder sind keine idealen Wälder, sondern Kompromisse, in denen die klimatischen Bedingungen für beide Baumarten einigermaßen erträglich sind.
Ein analoges Beispiel wäre ein „Mischwasseraquarium“, das so temperiert ist, dass sowohl Kaltwasser- als auch Warmwasserfische darin leben können. Eigentlich ist es aber den einen Fischen zu kalt und den anderen zu warm, es ergibt sich eben ein Kompromiss, unter dem beide Fischarten leiden.
Da die Bäume der Wälder immer dafür sorgen, dass es in der Umgebung wärmer wird, kann man den natürlichen Vorgang einer Waldausbreitung am Ende einer (Zwischen-?) Eiszeit wie folgt beschreiben: Zuerst rücken die Nadelbäume vor, sorgen für ein wärmeres Klima, leiden darunter, ein Mischwald mit immer mehr Laubbäumen entsteht, es wird weiterhin wärmer, und am Schluss hat man es mit einem reinen wärmeliebenden Laubwald zu tun.
Die Natur tut allerdings gut daran, immer für kurzfristige natürliche Klimaänderungen in beide Richtungen gewappnet zu sein. Es könnten ja riesige Herden von großen Pflanzenfressern (Megaherbivoren) den Wald auf großen Gebieten regelrecht plündern und somit wieder für eine Abkühlung sorgen. Deswegen sind in den gemäßigten Zonen reine Laubwälder nicht unbedingt von Vorteil.
Die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnet sich somit aus durch
- eine konsequente Wiederaufforstung des deutschen Waldes,
- eine intensive Industrialisierung der Landwirtschaft, die dafür sorgte, dass heutzutage 50% der Fläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt wird , z.B. hat sich der Maisanbau in den letzten 50 Jahren versechsfacht (!) und
- eine fortschreitende Begrünung von Städten in Form von Parks und Straßenbäumen.
Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass die erste katastrophale Sommer-Hitzewelle im Jahr 2003 stattfand.
Seither haben wir es mit regelmäßig auftretenden Hitzewellen zu tun und auch die Pflanzen, die den Hauptanteil an dieser Entwicklung haben, leiden darunter.
Weiterhin die Begrünung aller Bereiche auch zusätzlich in Innenstädten voranzutreiben gleicht einem Spiel mit dem Feuer.
Die Natur wird darauf mittelfristig Antworten finden, die uns als Menschen nicht gerade gefallen werden, zum Beispiel in Form von immer mehr Waldbränden.
Wie eine Borkenkäferplage wäre dies eine zielführende Selbstheilungsmaßnahme der Natur, um das Zuviel an Pflanzen bzw. Bäumen auszugleichen und für eine Abkühlung des lokalen Klimas zu sorgen.